SchreibmotorikGRUNDLAGEN – 1. Routinierte Schrift
Charakteristik routinierter Handschrift
Zunächst ist es erstaunlich, dass sich bei routinierten Schreibern eine erhebliche Vielfalt individueller Handschriften finden lässt, obwohl ja alle diese Schreiber ursprünglich eine stark normierte Ausgangsschrift in der Schule erlernt hatten, und diese Formen durch wiederholendes Üben in das motorische Gedächtnis einprägen sollten. Diese Vielfalt an individuellen Handschriften wird von uns als selbstverständlich hingenommen, obwohl ja die Frage naheliegt, wie sich diese individuellen Schriften eigentlich entwickelt haben, und ob diese Schriften möglicherweise ähnlichen oder gar gleichen Konstruktionsprinzipien unterworfen sind.
Es finden sich aber bei individuellen Handschriften routinierter Schreiber auch überraschende Gleichförmigkeiten in der Bewegungsausführung: Die Schreibbewegungen werden immer schnell, flüssig und scheinbar mühelos ausgeführt.
Mit Hilfe von registrierten Schreibbewegungsdaten kann man alle Details der Bewegungsausführung beim Schreiben betrachten. Flüssiges Schreiben kann vereinfacht als eine rasche Abfolge von Auf- und Abstrichen (mit dem Handgelenk) bei gleichzeitigem Vor- und Zurückbewegen des Stifts (mit den Fingern) charakterisiert werden. Hinzu kommen noch das Auf- und Absetzen des Stifts und der notwendige Handtransport um längere Schriftspuren zu erzeugen.
Betrachtet man nun als kleinste Analyseeinheit der Schreibbewegungen einen einzelnen Auf- oder Abstrich in einem Buchstaben, so hat die zugehörige Geschwindigkeitskurve bei routinierten Schreibern immer eine bestimmte Charakteristik: Das Schreiben gleicht mit seinen regelmäßigen und rhythmischen Bewegungen dem gleichmäßigen Schwingen eines Pendels.
In der nebenstehenden Abbildung wird die Schreibbewegung eines routinierten Schreibers am Beispiel der geschriebenen Buchstaben “ll” dargestellt. Durch zwei Markierungen ist ein Aufstrich in y-Richtung (nach oben) gekennzeichnet (A). Das zu diesem Aufstrich zugehörige Geschwindigkeitsprofil (B) zeigt einen regelmäßigen und symmetrischen Verlauf. Die Geschwindigkeit ist maximal genau in der Mitte der Bewegung. Im Beschleunigungsprofil ist eine ebenfalls gleichmäßige Beschleunigungs- und Bremsphase zu erkennen (C). Die Muskulatur wird somit pro Bewegungsabschnitt nur einmal beschleunigt und dann wieder abgebremst. Für ein „l“ werden hier nur 200 ms benötigt, es würden also pro Sekunde fünf „l“ geschrieben werden.
Beim mehrmaligen automatisierten Schreiben der gleichen Buchstaben fällt die erstaunlich hohe Wiederholgenauigkeit in allen Details der Bewegungsausführung auf. Diese Gleichförmigkeit der Geschwindigkeits- und Beschleunigungskurven, dass dabei immer dasselbe Bewegungsprogramm ausgeführt wird.
Die kinematische Analyse zeigt weiterhin, das sich bei routiniertem Schreiben die Form der Effizienz unterordnet. Formbestandteile, die nicht effizient und flüssig geschrieben werden können, werden modifiziert oder sogar weggelassen. Die nebenstehende Graphik zeigt das Wort Knochen, geschrieben von 3 routinierten Schreibern. Obwohl sich die Schriftformen erheblich unterscheiden fallen doch erstaunliche Gemeinsamkeiten auf:
- Großbuchstaben als Druckbuchstaben
- “K”, “n”, “o” auseinandergeschrieben
- „ch“ und „en“ zusammengeschrieben
- Vereinfachungen, „n“ wird zu „“u“, „h“ wird zu “l”
Tatsächlich erhöhen all diese Modifikationen die Effizienz der Schreibbewegungen, es kann mit weniger Aufwand, flüssigen Bewegungen und schneller geschrieben werden. Diese Modifikationen wurden aber nicht gelehrt, und widersprechen teilweise sogar direkt den Anweisungen des Schreibunterrichts. Scheinbar haben diese Schreiber selbst-organisiert herausgefunden, wie die Effizienz des Schreibens verbessert werden kann, und die individuelle Schriftform entsprechend modifiziert.