SchreibmotorikGRUNDLAGEN – 4. Motorisches Lernen

Motorisches Lernen

Welche Mechanismen stehen tatsächlich hinter dem Lernen von Schreibmotorik, wenn Schreiben nicht allein durch wiederholtes Üben und durch Einprägung der Form gelernt werden kann? Motorisches Lernen entwickelt sich immer von zunächst etwas langsameren großräumigen Bewegungen hin zu immer, präziseren, schnelleren und entsprechend weniger kontrollierbaren Bewegungen.

Dabei ist das Erleben der Bewegungsdynamik aber von besonderer Bedeutung. Motorisches Lernen schließt immer individuelle Anpassungen und das Ausprobieren verschiedener Lösungswege mit ein. Man lernt beispielsweise Laufen gerade weil man oft hinfällt, und dabei die Faktoren kennen lernt, die für das Gleichgewicht wichtig sind. Genauso wie Laufen aus Bewegung entsteht, entsteht auch geschrieben Schrift aus Bewegung. Studien aus England zeigen, dass Kinder tatsächlich Probleme beim späteren Laufen haben, wenn sie in einer Laufhilfe das Laufen lernten.

Im Gegensatz zum Modell des Lernens durch wiederholtes Üben einer Norm stehen Lernmodelle, bei denen das Bewegungserleben mit allen Sinnen und unter variablen Bedingungen stattfindet. In diesen Modellen wird Lernen als: „wiederholte Suche nach einer Lösung für eine bestimmte Aufgabe“ definiert, und eben gerade nicht als das „Wiederholen der Lösung für eine bestimmte Aufgabe“. Ausgehend von diesem Modell müssten die Lehrer die Kinder weniger mit einer Modelllösung für die Schriftform konfrontieren, sondern den Kindern bei ihrer Suche nach einer individuellen Lösung für eine lesbare und flüssige Schrift helfen.

Es liegt der Schluss nahe, dass Kinder mit der Ausgangsschrift zwar die Buchstabenformen selbst kennen lernen, nicht aber die Wege wie diese Buchstaben bewegungsdynamisch geschrieben werden können. Durch die übermäßige Betonung der genauen Schriftform wird möglicherweise diese Suche sogar noch erschwert. Deshalb sollte der Schreibunterricht nicht nur die Schriftform vermitteln, sondern vor allem auch die Entwicklung von Schreibbewegungen und das Bewegungserleben fördern.

Schlussfolgerungen

Die neueren Methoden zur Schreibanalyse beispielsweise mit dem Programm CSWin stellen eine bestechend einfache Möglichkeit dar, die Systematik von ausgeschriebener routinierter Handschrift zu analysieren und daraus die Prinzipien der Konstruktion einer verbundenen Schrift zu gewinnen. Ein solcher Ansatz verschiebt allerdings den Fokus des Schreibunterrichts: Im Mittelpunkt steht dann nicht mehr eine exakte Normschrift, sondern der individuelle Weg zum Erwerb von effizienter Schreibmotorik. Kinder sollten von Anfang an eine geeignete Schreibmotorik lernen, die im Laufe des Lernverlaufs mehr und mehr in die beabsichtigte Schriftform gebahnt wird. Darüber hinaus können auch systematisch die kritischen Einflussfaktoren auf den Schreibprozess zu identifiziert und miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Ein solches Vorgehen wird auch in vielen wissenschaftlichen Publikationen nahegelegt. So konnte nachgewiesen werden, dass die in der Schulschrift geforderte Anbindung und die umständlichen Buchstabenformen aus motorischer Sicht ungeeignet für flüssiges Schreiben sind (Mai 1991). In anderen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass automatisiertes Schreiben durch bewusste visuelle Kontrolle der Schriftform erheblich behindert wird (Marquardt, Gentz & Mai 1996). Dies gilt auch für die im Erstschreibunterricht geforderte Beachtung von Begrenzungslinien (Mai, Marquardt & Quenzel, 1997). Eine andere Untersuchung regt an, die bei Kindern zu Schulbeginn vorhandenen motorischen Kompetenzen direkt für den Schrifterwerb zu nutzen (Quenzel & Mai 2001).

Marquardt/Söhl haben 2014 als Bausteine ihres wissenschaftlich fundierten SchreibLernKonzeptes die Trainingsmodule “Vorbereitung auf das Schreibenlernen“ und das „Praxisbuch zur Ergänzung des Schreibunterrichts” entwickelt und veröffentlicht.

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