Der Schriften-Dschungel
Der Schriften-Dschungel an deutschen Grundschulen
Ziel des Handschreibunterrichts in der Grundschule ist eine gut lesbare, weitgehend automatisierte und individuelle Handschrift. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der Ökonomie der Schreibbewegungen und dem Prozess des Schreibenlernens.
Wissenschaftlich belegt sind (Odersky, 2018; Bara u. Morin, 2013; Graham et al, 1998):
- unverbundene Handschriften haben keinen Nachteil in Bezug auf Lesbarkeit, Rechtschreibung und Textkompetenz
- Kinder mit einer teilverbundenen Handschrift schreiben schneller als Kinder mit einer verbundenen Handschrift
- der Bewegungsfluss findet auch bei einer unverbundenen Schrift statt, da die Bewegungen in der Luft fortgeführt werden; d.h. auch eine vermeintlich unverbundene Schrift ist durch die Bewegung der Schreibhand in der Luft verbunden, hat aber den Effekt, dass die Schreibhand entlastet wird und eine erhöhte Schreibflüssigkeit und -geschwindigkeit erreicht werden können (vgl. Odersky, 2018; Speck-Hamdan et al. 2016; Liebers et al. 2016)
- dies zeigt sich auch bei schreibgeübten Erwachsenen, die in der Regel nur zwei bis drei Buchstaben innerhalb eines Wortes verbinden
Wie sieht es aber in deutschen Grundschulen aus?
In deutschen Grundschulen ist es üblich, dass Kinder zunächst mit unverbundenen Druckbuchstaben schreiben, bevor sie eine verbundene Handschrift erlernen. Meist im Laufe des 2. Schuljahres kommt dann eine verbundene Schrift hinzu.
Für das Erlernen einer verbundenen Schrift können die Schulen in den meisten Bundesländern zwischen verschiedenen Schreibschriften wählen: der Lateinischen Ausgangsschrift (LA), der Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) und der Schulausgangsschrift (SAS). In einigen Bundesländern kommt die Grundschrift (GS) hinzu. In Bayern wird die GS nicht angeboten.
Lateinische Ausgangsschrift (LA)

Die LA ist eine modifizierte Form der Deutschen Normalschrift von 1941.Ihre Fehleranfälligkeit wurde begründet in:
- der Komplexität der Buchstaben, charakterisiert durch viele Schleifen und Schlingen
- den vielen Deckstrichen (deckungsgleiche Linien in entgegengesetzter Schreibrichtung) und Drehrichtungswechseln, welche den Schreibfluss hemmen, z.B. bei a, g, c, d
- der starken Verbundenheit der Buchstaben (auch der Großbuchstaben), was durch das Schreiben in einem Zug zu Verkrampfungen der Hand führt.
Vereinfachte Ausgangsschrift (VA)
Aus der Kritik an der LA wurde 1970 die VA entwickelt.

Vorteile:
- die Großbuchstaben wurden auf eine druckbuchstabenähnliche Form vereinfacht
- die Deckstriche und Richtungswechsel wurden reduziert
- die Schrift ist leichter erlernbar durch den modularen Aufbau der Buchstaben, die jeweils an der Oberkante des Mittelbandes (Mittellinie der Grundschulheftlinien) beginnen und enden
Nachteile:
- einige Deckstriche und Richtungswechsel sind reduziert, aber bei einigen Buchstaben neue geschaffen („Köpfchen e“), zusätzliche Schleifen und Schnörkel (“z”, “s”), die Formen des t und des r führen zu Unleserlichkeiten.
- die Verbindung der Kleinbuchstaben am Mittelband führt zu verkomplizierten Formen und Bewegungsstopps, automatisierte Bewegungsabläufe werden gestört, da der Schreibvorgang mit dem Fokus auf das Mittelband kontrolliert ausgeführt wird.
- beim späteren Schreiben ohne das Mittelband fehlt in vielen Schriften die Orientierung, bei mangelndem Schreibfluss und zunehmender Unleserlichkeit, insbesondere durch fehlerhafte Verbindungen.
- empirische Untersuchungen zeigen (Odersky, 2018), dass mehr als die Hälfte der Kinder am Ende der Grundschulzeit die Verbindungen der VA aufgeben und es nicht schaffen eine flüssige und automatisierte Schrift zu entwickeln.
Schulausgangsschrift (SAS)
Die SAS wurde 1968 in der DDR eingeführt und ist seit 1991 auch in den westdeutschen Bundesländern eine weit verbreitete Ausgangsschrift.

Vorteile:
- die Kleinbuchstaben entsprechen weitgehend der LA, sind aber im Bewegungsablauf vereinfacht; die Großbuchstaben orientieren sich an der Form der Druckschrift und weisen keine überflüssigen Schnörkel auf
- die Buchstaben sind insgesamt schlanker und dynamischer gestaltet
- die Verbindungen erfolgen nicht nach einer starren Mechanik und den daraus resultierenden Problemen wie bei der VA, sondern ermöglichen einen rhythmischen Schreibfluss und sind daher auch bei höherem Schreibtempo gut lesbar
Nachteile:
- wie bei der LA viele Deckstriche und Drehrichtungswechsel
- der Buchstabe t ist durch den verschnörkelten Verbindungsstrich schwer zu schreiben und oft unleserlich, häufig wird er durch das t ersetzt und ist damit vereinfacht
Grundschrift (GS)
Die Grundschrift entspricht im Wesentlichen der Druckschrift und wurde 2011 eingeführt. Sie folgt dem Konzept der Schweizer Basisschrift. Bei den Kleinbuchstaben, die auf der Grundlinie enden, mündet der Endstrich in ein kleines, nach oben gezogenes Häkchen.

Vorteile:
- entwickelt die verbundene Handschrift aus der Druckschrift, so dass keine neue Ausgangsschrift eingeführt werden muss; dadurch werden die Kinder kognitiv entlastet
- die Kinder haben die Freiheit, Buchstaben verbunden, teilverbunden oder unverbunden zu schreiben
Nachteile:
- erfordert ein selbstständiges Ausprobieren und Experimentieren mit geeigneten Buchstabenverbindungen und damit eine gute Begleitung durch die Lehrperson, um zu einer flüssigen Handschrift zu gelangen.
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